Foto: Vaterländische Feier auf dem Marktplatz, 1917
5.8.1917
Vaterländische Feiern in Betrieben und Schulen oder in größerem Rahmen auf öffentlichen Plätzen dienten ab Mitte 1916 in erster Linie der Unterstützung der Soldaten an der Front und der Zerstreuung von Zweifeln am Sinn des Krieges an der „Heimatfront“. Bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg wurden junge Menschen in den Schulen systematisch mit vaterländischen Texten in Lesebüchern und durch das Singen kriegsverherrlichender Lieder ideologisch beeinflusst. Es ist somit nicht verwunderlich, dass bei der großen Feier am 5.8.1917 auf dem Lindener Marktplatz ein Schulrat als Hauptredner auftrat.
Über diese Veranstaltung schrieb der Hannoversche Anzeiger am 10.8.1917:
„Die vaterländische Feier, die am Sonntag mittag vor dem Rathause in Linden stattfand, hatte eine zahlreiche Menschenmenge dort hingelockt. Nachdem die Musikkapelle zwei Märsche gespielt hatte, brachten die Gesangvereine Hanomag, Polyhymnia, Männergesangsverein Limmer und Männerchor der Waggonfabrik unter Leitung des Musikdirektors Görly Bekedorf mehrere Chöre in harmonisch schön abgerundeter Weise zum Vortrag. Sodann hielt Schulrat Peters eine kernige, von hoher vaterländischer Gesinnung getragene Rede, worauf die Menschenmenge begeistert Deutschland, Deutschland über alles sang. Mit dem unter Orchesterbegleitung von den vereinigten Gesangvereinen schwungvoll gesungenen Niederländischen Dankgebet erreichte die Feier ihr Ende."
Im Mittelpunkt des Fotos steht neben dem Nachtwächterbrunnen eine 20 Mann starke Blaskapelle. Die in dem Zeitungsbericht erwähnten Chöre [1] sind nicht zu erkennen, sie stehen wahrscheinlich vor dem Rathaus. Der Schlussgesang des Niederländischen Dankgebets mit vier Chören und Blaskapelle wird seine Wirkung nicht verfehlt haben. [2] Hinter dem Brunnen in Richtung der Gaststätte Zum Holländer ist ein großer Block von Menschen zu sehen, in den vorderen Reihen sehr viele Kinder. Die Erwachsenen sind in der Minderzahl, viele von ihnen tragen leichte Sommer-Strohhüte. In dem Menschenblock auf der anderen Straßenseite am Eckhaus zur Falkenstraße stehen mehr Erwachsene, man sieht aber auch hier Kinder in den vorderen Reihen. Oben am Haus hängt die Schwarz-Weiß-Rote Fahne.
Ein weiterer Publikumsblock ist fast vollständig durch den Baum auf der linken Bildseite verdeckt. Ebenfalls hinter den Blättern der Bäume kaum zu erkennen ist eine ausgestellte Kanone. Es könnte sich um ein französisches Geschütz handeln, das hier auf einem Podest der jubelnden Bevölkerung als Kriegstrophäe präsentiert wird.
Die gesamte Szenerie macht insgesamt einen sehr disziplinierten und gut organisierten Eindruck, alles wird von wenigen Polizisten mit Pickelhaube geregelt. Die Straße mit den Straßenbahngleisen ist komplett freigehalten.
(JW/WE)
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[1] Vaterländisches Liedgut gehörte zum festen Repertoire der Gesangsvereine und Liedertafeln. Beteiligt an der Feier auf dem Marktplatz waren
- die 1912 gegründete Liedertafel des Werkvereins der Hanomag,
- der 1846 gegründete Gesangverein Polyhymnia Linden, der seine Übungsabende im Ratskeller durchführte,
- der Männergesangverein Limmer und
- die Liedertafel der Hannoverschen Waggonfabrik A.-G., gegründet 1907, die sich wöchentlich zu Übungsabenden in der Bärenhöhle am Schwarzen Bären traf.
(Angaben nach AdrB 1915, Abteilung V, S. 163)
[2] In dem Niederländischen Dankgebet („Wir treten zum Beten vor Gott, den Gerechten…“) versichert sich in einer Strophe die Masse der Hilfe Gottes in der Auseinandersetzung mit dem Kriegsgegner: „Im Streite zur Seite ist Gott uns gestanden. Er wollte, es sollte das Recht siegreich sein: Da ward kaum begonnen, die Schlacht schon gewonnen. Du, Gott, warst ja mit uns: Der Sieg, der war Dein! Herr, lass uns nicht!“ Die hervorragende Wirkung dieser Hymne zur Emotionalisierung der Massen setzten später die Nationalsozialisten ganz bewusst bei ihren Massenchoreografien ein.
Ort: Marktplatz ; Lindener Markt Personen: Bekedorf, Görly; Peters, Schulrat